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U2 News » No Line On The Horizon - zweite Meinung


Zum heutigen Release der Vinyl-Neuauflage von "No Line On The Horizon" hat sich U2tour.de-Mitarbeiter Hans die Platte auch noch einmal angehört und seine Erinnerungen von 2009 und die heutigen Eindrücken in seinem Review verarbeitet:

10 Jahre ist das Album nun schon alt. Kaum zu glauben. Und trotzdem fühlt sich der Release immer noch so an, als wäre er vorgestern gewesen. Meine Erinnerungen an diese Zeit des Jahres 2009 sind daher noch sehr präsent. Es gab selten ein U2-Album, in das ich mehr Hoffnungen gesetzt hatte als in NLOTH. Grund dafür war das in meinen Augen schwache "How To Dismantle An Atomic Bomb". Für mich album-technisch der Tiefpunkt (zusammen mit Songs Of Experience). Die "Bombe" ist für mich auch heute noch heute so schwach wie ihr Covermotiv. Aber kommen wir zum Geburtstagkind.

Die Geschichte von NLOTH beginnt bereits im Sommer 2008. Bono dreht in seinem Häuschen in Südfrankreich die Stereo-Anlage zu laut auf. "Zufällig" waren zur selben Zeit Fans in der Nähe seines Anwesens und schnitten die Töne mit, um sie anschließend in Netz zu stellen. Mehr oder weniger komplette Songs in sehr bescheidener Soundqualität, die von Meeresrauschen übertönt wurden, machen weltweit die Runde. Und das nicht zum ersten Mal. Auch 2003/4 sorgte Bono für eine Art Vorab-Leak der Platte. Zu den Beach-Clips, wie diese Mitschnitte liebevoll genannt wurden, kamen aber bald auch offizielle Clips in besserer Soundqualität, die erste Eindrücke der neuen Stücke vermitteln sollten. So gab es u.a. "Unknown Caller" in einem offiziellen von U2 geposteten Video zu hören. Dieser Schnipsel sowie die Berichte von den Aufnahmesessions in Fez ließen auf Gutes hoffen. Brian Eno und Danny Lanois sollten doch für die richtigen Sound hoffen lassen.

Die erste Single "Get On Your Boots" wurde im Januar ausgekoppelt, nachdem das Album nicht wie ursprünglich anvisiert im Vorweihnachtsgeschäft veröffentlicht werden konnte. Tja, Verschiebungen gehören zur U2-Geschichte wie die Kopfbedeckungen von Edge. Als der Titel zum ersten Mal im Radio gespielt wurde, bestätigte sich das, was man in den Tagen zuvor bereits durch einen mehrsekündigen Teaser erahnen konnte. Was für eine fürchterliche Wahl für die erste Single. Ein bisschen Discotheque, ein bisschen viel Vertigo und eine Produktion, mit der ich nichts anfangen konnte. Klar, mutig waren sie und die Richtung vom Sound war ebenfalls sehr mutig. Aber das reicht nicht immer. Ich versuchte mir damals den Song schön zu reden. Immerhin hatte meine Band endlich wieder die Courage, mit einem sperrigen Song zurückzukehren. Die Echo-Verleihung nahm ich natürlich auch live vor Ort mit. Sie wurde von U2 eröffnet und ich war trotzdem ein wenig stolz, dass meine Band den ganzen Leuten, die auf mehr oder weniger musikalisches Fastfood warteten, gleich mal zeigte, wo der Hammer hängt. Live kam der Song schon besser, ohne eine Offenbarung zu sein. U2 sollten an diesem Abend die einzigen Künstler sein, die komplett live spielten. Beim Rest kam die zumindest die Musik aus der Konserve (bei einigen auch alles). Es war auch der Abend, an dem ich zum ersten Mal von einer gewissen Helene Fischer Notiz nahm. Damals war sie aber noch ein eher ostdeutsches Phänomen. Im Publikum wechselten wir uns mit den Helene Fischer-Ultras in den ersten Reihen ab. Bei U2 standen wir vorne, bei Helene ließen wir ihnen den Vortritt. Wenige Tage vorm Echo gab es bereits einen Leak des kompletten Albums. Darüber wurden natürlich auch am Rande der Echo-Verleihung diskutiert. Ich hielt mich von diesen Diskussionen fern, weil ich das Album wirklich erst am Release-Tag hören wollte.

Inner Sleeve, Quelle: u2.com

Der kam Ende Februar und ich weiß noch genau, wie ich die Platte zum ersten Mal komplett hörte. Ich versuche mal meine damaligen Eindrücke, gepaart mit meiner heutigen Sicht auf die Dinge, niederzuschreiben. Eröffnungssong war und bleibt "No Line On The Horizon". Eine alternative Version des Songs kannten wir schon von der B-Seite der "Get On Your Boots"-Single. Diese gefiel ganz gut, erinnerte sie doch ein wenig an "Ultra Violet". Die Album-Version konnte da nicht ganz mithalten. Für mich die schwächere der beiden Fassungen. Nervig auch Bonos Gesang. Trotzdem würde ich dem Song auch heute 6/10 geben. Es fehlt im Song das Besondere. Er plätschert so vor sich hin und ein wirklicher Höhepunkt hätte ihn nochmal aufgewertet. Aber in die Schublade der schwachen Songs gehört er auch nicht.

Gut, dass danach gleich "Magnificent" kam. Schon bei den ersten Takten war klar: das ist der typische U2-Sound in moderner Form. Eine klassische U2-Hymne mit schwebenden Gitarren, einem Mitsing-Refrain und vom Sound auf der Höhe der Zeit. Einziges Manko sind die wirklich sehr platten Lyrics. I was born to be with you. Aber da ich bei U2 immer mehr an der Musik als am Text interessiert war, störte mich das wenig. Trotzdem ein Song, der polarisiert. Er ist so etwas wie das "Crumbs From Your Table" der Platte und bekommt von mir ganz klar 8/10 Punkten. Für mich ist unbegreiflich, warum man den Titel nicht als erste Single genommen hatte. Die Rezeption des Albums wäre vielleicht von Anfang an eine andere gewesen. Sat1 nahm den Titel übrigens als Musik für seine Europaleague-Übertragungen.

Spannend sollte es dann werden, wurde "Moment Of Surrender" vorab vereinzelt als der Übersong dargestellt. Auch die Band in Form von Bono sparte nicht an Vorschusslorbeeren. Ja, es ist kein schlechter Song. Aber jetzt nichts, was mich vom Hocker reißt. Bonos Gesang ist auch hier grenzwertig. Und der Titel ist auch wenig zu lang geraten für meinen Geschmack. Ein richtiger Höhepunkt fehlt trotz des Gitarrensolos leider auch. Aber es reicht für solide bis gute 7/10 Punkte.

Die Achterbahnfahrt auf gehobenen Level geht danach mit dem vierten Titel weiter. "Unknown Caller" kannte man ja bereits in Ausschnitten. Neben Magnificent wahrscheinlich mein Lieblingssong auf dem Album. In den Strophen ist es ein U2-Song, wie man ihn schätzt. Der chorale Refrain ist dann trotz der Oh, Oh, Ohs erste Sahne. Da scheint mir Brian Eno seine Hände im Spiel gehabt zu haben. Es ist nicht der erste Song, bei dem Teile im Chor gesungen werden. Bei U2 kannte man das bereits bei "Lemon" und Eno hatte diesen Stil vorher bereits bei den Talking Heads erfolgreich eingesetzt. "Unknown Caller" sollte sich als perfekte Stadionhymne eignen. Warum die Band der Song im Laufe der Tour aus dem Set strich, bleibt wohl ihr Geheimnis. Das Gitarrensolo wurde mal von Dallas Schoo als das beste von Edge beschrieben. Er könnte Recht haben, wenn man mal von Solos, die Edge zur ZooTV-Zeiten bei "Bullet The Blue Sky" spielte, absieht. 8/10 Punkten gebe ich auch noch heute.

Und weil die Achterbahnfahrt so schön ist, geht es mit "I'll Go Crazy If I don't Go Crazy Tonight" rapide bergab. Der Titel passt zum Song wie die Faust aufs Auge und der Song an sich ist eine Faust auf die Ohren. Was für ein kitschig-triefender Song. Komplett überproduziert und weichgespült. Dem Song fehlen eindeutig die Eier. Dazu das nervigste Gitarrensolo in der U2-Discographie. Und trotzdem gibt es eine sehr starke Stelle im Song. Bei diesem Break mit "Baby, Baby, Baby...". Der passt zwar nicht wirklich zum Rest des Songs, aber es ist eine der ganz starken Stellen des Albums. Und er rettet dem Song 3/10 Punkten.

Die Talsohle scheint erreicht. Zeit, dass es wieder bergauf geht "Get On Your Boots" hatte ich ja bereits beschrieben. Im fast direkten Kontrast zu "Unknown Caller" wirkt der Song noch verlorener. Er kann sich glücklich schätzen, dass man fünfeinhalb Jahre später mit "The Miracle (Of Joey Ramone)" eine noch schlechtere erste Single ausgekoppelt hatte. Weil die Live-Version aber hier und da Spaß machte, bekommen die Boots noch 5/10 Punkten.

Wenn man denkt, schlimmer als bei "I'll Go Crazy" geht's nimmer, dann irrt man sich. Mit "Stand Up Comedy" klingen U2 wie die Red Hot Chili Peppers. Allerdings der Version für Arme, ohne Chili. Ich weiß nicht, wie man auf einen solchen Titel kommt. Er passt einfach nicht zu U2. Dass er nie in die engere Wahl für das Liveset kam, verwundert nicht. Keine Ahnung, wie oft (oder besser: selten) ich das Lied gehört habe. Ich kann einfach nichts damit anfangen. 2/10 Punkten.

Das folgende "Fez/Being Born" ist eigene ein Mischmasch aus zwei halben Songs. Die wohl experimentellste Stelle des Albums. Und nicht zu vergleichen mit den bisherigen experimentellen Alben in den 90s. Stilistisch für U2 etwas ganz Neues. Die Einflüsse aus Nordafrika gemixt mit einer esoterischen, fast schon bedrohlichen Stimmung. Interessante Soundspiele, sehr schöne Klangcollagen. Live natürlich kaum umsetzbar. Aber ein Beispiel für das, wie das Album hätte klingen können, wenn man diesen Stil weiterverfolgt hätte. Irgendwo habe ich ein Brian Eno-Interview in Erinnerung, wo er sagte, dass U2 leider nicht den Mut hatten, die Songs komplett in dieser Weise durchzuziehen. Er bemängelte das ein wenig. Gut, nun könnte man sich fragen, ob ein solcher Titel wirklich zu U2 passt. 1995 löste man da ja noch anders und verkaufte ähnliche Musik unter Passengers. Mir gefällt der Titel, aber so wirklich passt er nicht ins Gesamtkonstrukt. 7/10 Punkten sind aber angemessen.

Mit "White As Snow" haben wir danach eine Ballade. Insgesamt ein wunderschöner, ruhiger Song. Zum Vorgängertrack der komplette Stilbruch. Das Song ist fast schon zu schön bei dem ernsten Thema, das er besingt. Die Bläsersektion erinnert mich immer ein wenig an Pink Floyd in den 70s. Die "Oh komm, oh komm, Emanuel"-Anleihe ist auch unüberhörbar. Solides Stück, stirbt aber ein wenig in Schönheit 7/10.

Mit "Breathe" folgt dann ein Titel, an dem man das Dilemma des Albums gut erkennen kann. Ein Song, bei dem sich die Gitarren in das Lied hineinsteigern. Das klingt mit entsprechendem Gain und Feedback richtig gut, bis plötzlich ein Piano einsetzt und dem Song die ganzen Stärken raubt. Was wäre das für ein starker Titel, wenn nicht dazwischengeklimpert würde. Wem auch immer diese Tonspur eingefallen ist, es war eine seiner schlechteren Ideen. Ohne Piano würde mir "Breathe" richtig gut gefallen, aber so ist es gefühlt ein anderer Song. In dieser Form erinnert er mich an Bierzelt-Coverbands, die einen Keyboarder dabei haben, der blöderweise bei Guitar, Drum and Bass only-Titeln die Akkorde mit seinem Keyboard mitspielen will und diese Songs komplett verhunzt. Daher gibt es leider nur 4/10 Punkten.

"Cedars Of Lebanon" ist dann wieder ein wenig ruhiger. Bono spricht den Song mehr als er ihn singt. Stilistisch knüpft er ein wenig an "White As Snow" an. Für mich aber die schwächere der beiden Balladen auf der B-Seite der Platte. Leider kein Titel, der sonderlich nachhaltig ist. Für einen Closer ist er mir zu blass 5/10.

Inner Booklet, Quelle: u2.com

Was mir auf jeden Fall nach 10 Jahren auffiel. Heute gefällt mir die Platte insgesamt besser als 2009. Ein Überalbum, was ich jemanden empfehlen würde, der sich in U2 einarbeiten will, ist es aber bei weitem nicht. Um mal die Fußball-Metaphorik zu bedienen: Das Album mit 11 Songs hat 11 Spieler auf dem Platz, von denen 2-3 Top-Leute sind, aber auch 2-3 Spieler, die durchgeschlappt werden. Für den Abstiegskampf zu stark, aber für die Champions League, und das ist der Anspruch, den man an verwöhnter Fan an die Band stellt, reicht es nicht.

"No Line On The Horizon" wäre ein ordentliches Album, hätte man die Songs "I'll Go Crazy" und vor allem "Stand Up Comedy" weggelassen. Vielleicht hätte man auch noch "Winter" dazunehmen können. Manchmal sind eben 9-10 Songs besser als 11. So leidet die Platte unter 2-3 Schwachpunkten. Und unter der Tatsache, die schon bei "All That You Can't Leave Behind" zu erkennen war: Die Kracher der Platte sind alle auf der erste Seite des Albums. Somit fällt die B-Seite mal wieder ab.

Wenn ich Songs vom Album höre, dann meist die Songs 1-4 und danach reicht es mir. Insgesamt würde ich dem Album 6,5/10 Punkte geben. Wie gesagt Sicher nicht schlecht und die Kritik ist auch irgendwo Jammern auf hohem Niveau, aber das Album hat eben zu viele Ausfälle. Zumindest in meiner Wahrnehmung. Kann man anders sehen, darf man anders sehen. Die Platte wird trotzdem in die Geschichte eingehen. Es war das letzte U2-Album, bei der die Single-Auskopplungen noch physisch erhältlich waren.

Positiv ist auch die Aufmachung der Platte zu erwähnen. Artwork und die Fotos im Booklet sind sehr gelungen. Deutlich besser als bei der "Bombe" und auch besser als bei den beiden Alben, die folgten. Und die Vinylversion war schon 2009 sehr hochwertig gestaltet. Leider fällt die Qualität der Verpackung der 2019er-Version deutlich ab. Auch meine Clear Vinyl kam mit geplatzter Außenhülle an.



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