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It's not dark yet ...

Ich gebe es zu. Ich nutze die eher kurze und im Hinblick auf ihre inzwischen 40 bzw. nahezu 60 Jahre langen Karrieren völlig unbedeutende Kollaboration von U2 und Bob Dylan aus, um hier zum 80. Geburtstag meines Lieblingskünstlers eine Würdigung auf diese Seite zu schmuggeln.

Bob Dylan ist in meinen Augen nicht mehr und nicht weniger als der genialste, der wichtigste und auch der größte Künstler in der bisherigen Geschichte der Rockmusik. Ohne ihn würde die Popkultur anders aussehen, ohne ihn wäre sie weiterhin etwas für Teenager und nicht für alle Altersklassen und Bildungsschichten. Ohne ihn hätten die Beatles weder "Revolver" noch "Abbey Road" veröffentlicht. Und egal ob man ihn als Person sympathisch findet oder nicht, ob man seine Stimme mag oder nicht (wie schrieb der FAZ Autor Jörg Thomann so schön bei Twitter nach der Verkündung des Nobelpreises "Coole Entscheidung. Auch wenn Philip Roth sicher besser singen kann."); Bob Dylan hatte mit seinen Texten ganz maßgeblichen Anteil daran, dass Rockmusik inzwischen als Kunstform akzeptiert ist. 

Dylan hat Blues, Pop, Folk und Poesie erstmals miteinander vereint. Zitate wie "there's no success like failure" oder "you don't need a weatherman / to know which way the wind blows" sind längst Allgemeingut in der amerikanischen Sprache geworden. Oder, wie Michael Gray, sein intelligentester Biograph einst schrieb: Dylan hätte einen Song wie "Satisfaction" auch hinbekommen, aber Jagger niemals "Mr. Tambourine Man". Zu Recht bekam er 2016 den Nobelpreis für Literatur verliehen "for having created new poetic expressions within the great American song tradition”, nicht nur für ein paar Zeilen, die er als Zwanzigjähriger verfasste und die so oder ähnlich von vielen anderen sogenannten Singer/Songwritern stammen könnten, sondern für sein Gesamtwerk (doch über seine Reduzierung in der öffentlichen Wahrnehmung als "Protestsänger" später mehr). 



Bob Dylan stand nicht nur als Vertreter der amerikanischen Songtradition in Stockholm (eigentlich stand er gar nicht dort, sondern nur symbolisch. Patti Smith hat damals seine Rede verlesen) - er stand dort als Performer auch stellvertretend für alle die fahrenden Dichter und Sänger der letzten Jahrhunderte seit dem Mittelalter - von Walther von der Vogelweide über Wolfram von Eschenbach bis zu den großen Bluesinterpreten der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, wie Blind Willie McTell oder Robert Johnson, als deren Nachfolger man ihn sehen kann. Deshalb: Was mich erstaunt und als Fan sogar regelrecht erbost, ist die Tatsache, dass 56 Jahre nach seinem Auftritt in Newport und 55 Jahre nach dem legendären "Judas" Ruf beim Konzert in der Free Trade Hall in Manchester auch klugen Leuten oft noch nichts besseres zu Dylan einfällt, als ihn als "Protestsänger und Modell der antiautoritären Bewegung der 60er" zu bezeichnen (ja, lieber Stefan Aust, ich meine auch Sie und ihren kürzlichen Auftritt in irgendeinem Mittagsmagazin) - ein Aufkleber also, der nicht nur vor über einem halben Jahrhundert abgeblättert ist, sondern damals schon eine Fehletikettierung war. Seine Einstufung als (bloss ein) Protestsänger ist ganz offensichtlich ein unausrottbares Missverständnis. Ja, Dylan hat in den frühen 60ern eine Handvoll Songs geschrieben wie "The lonesome Death of Hattie Carroll", "Blowin' in the Wind" oder am plakativsten vielleicht "Masters of War". Er hat auch Konzerte mit Joan Baez gegeben und er war in Washington dabei, als Martin Luther King seine berühmte "I have a dream" Rede hielt, aber das war 1963. 

Seitdem rennen die Leute in seine Konzerte und buhen (früher) bzw. schreiben entrüstete Kommentare im Netz (heute), weil Bob Dylan nicht mit akustischer Gitarre auf der Bühne steht und über den Weltfrieden räsoniert, sondern stumm auf sein Keyboard blickt, mit altersmüder Stimme seine Texte mehr spricht als singt und - falls er mal ein paar ältere Stücke spielt, diese in völlig neue Versionen kleidet. Skandal rufen dann die Zuschauer, die sich nicht vorher informiert haben. Oder die uninformierten Journalisten schreiben von schlechten Auftritten. Dabei gibt es wohl keinen zweiten Künstler und erst Recht keinen, der seit über 50 Jahren aktiv ist, der so ein großartiges Gesamtwerk vorzuweisen hätte. Sein bestes Album, "Blood on the Tracks" erschien 1975, als die Beatles längst Geschichte waren und die Stones und The Who ihre besten Zeiten schon hinter sich hatten. Und von "Time out of Mind" (1997) über "Love and Theft" (2001) bis "Rough and Rowdy Ways", seinem 39. Studioalbum, das vor einem Jahr erschien, hat er selbst nach seinem 55. Geburtstag noch einige Meisterwerke veröffentlicht. 

 

Ein kurzer Abstecher zu der Band, um die es auf unserer Seite geht. Dylan und U2 sind in den 80ern ein paar Mal aufeinander getroffen. 1984 spielte Dylan auf Slane Castle und Bono durfte bei der Zugabe mit auf die Bühne und massakrierte "Blowin' in the Wind" mit seiner kompletten Unkenntnis der Lyrics. Ziemlich peinlich. Aber Dylan scheint es ihm nicht nachgetragen zu haben. Er fand später einige sehr freundliche Worte in seiner Autobiographie "Chronicles" über ihn. Und Bono stellte auch den Kontakt zwischen Dylan und Daniel Lanois her, der "Oh, Mercy" und "Time out of Mind" produzierte. "Love rescue me" von "Rattle and Hum" war zudem eine gemeinsame Komposition von Dylan und U2 (wobei nicht bekannt ist, wer da was geschrieben hat). Und natürlich findet man auf dem gleichen Album auch ein Cover von "All along the Watchtower", das sich aber musikalisch eher an der Version von Jimi Hendrix orientiert und weniger am Original. 

Insgesamt aber war Dylan in den 80ern ziemlich ausgebrannt. Er war desillusioniert, hatte Drogenprobleme und mehrere Alben waren total misslungen. Seine Tour 1987 mit den Grateful Dead gilt oft als Tiefpunkt, aber ausgerechnet sie lieferte ihm damals neue Impulse. Danach hörte er auf, in Stadien seine größten Hits zu präsentieren und begann stattdessen, die Setlisten jeden Tag zu verändern. Die (von den Fans so getaufte) "Never Ending Tour" begann am 7. Juni 1988 und endete vorläufig ("dank" Covid-19) am 8. Dezember 2019 nach kaum fassbaren 31 Jahren und 3064 Auftritten. Die Tour selbst, Dylans Performance wurde zu einem eigenen, gewaltigen Kunstwerk; beinahe jeder der Auftritte ist als Bootleg im Netz zu finden. 

Auch andere Künstler, die schon in den 60ern berühmt waren, treten heute noch auf (oder wollen es bald wieder), aber niemand sonst war so fleißig oder hat so konsequent sein Leben der Musik gewidmet. Der amerikanische Präsident Carter zitierte Dylan in seiner Antrittsrede ("he not busy being born is busy dying") und Bill Clinton sagte einst: "Bob Dylan hatte wahrscheinlich mehr Einfluss auf die Menschen meiner Generation als jeder andere Künstler." In diesem Sinne: May God bless and keep you always, Mr. Zimmerman.



"Um Dylans Bedeutung als Sänger zu verstehen, muss man sich eine Welt ohne Tom Waits, Bruce Springsteen, Eddie Vedder, Kurt Cobain, Lucinda Williams vorstellen (. ..)."

Warum Bono Bob Dylan für einen der besten Sänger aller Zeiten hält, könnt Ihr in diesem Artikel des Rolling Stone nachlesen 

   
'Birthday letter' an Bob Dylan anlässlich Bonos 60. Geburtstags

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